Über das Projekt

Hier finden Sie Informationen zu den Hintergründen, zum Forschungsprogramm und zu unserem Team.

Hintergründe Forschungsprogramm Team

Hintergründe

In der Bundesrepublik Deutschland ist die gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Verhältnis von Polizeiarbeit und Diskriminierung jahrzehntelang rudimentär geblieben. Insbesondere das Problem des institutionellen Rassismus in der Polizeiarbeit ist immer noch eine erhebliche Leerstelle. Erst im Kontext von öffentlichen Auseinandersetzungen um den NSU-Komplex, die rechtsterroristischen Anschläge in Halle und Hanau sowie Rassismus und rechtsextreme Netzwerke und Chats in Polizeibehörden hat dieses Problem eine größere öffentliche und auch wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten. 

Rassismus und andere Formen menschenfeindlicher Diskriminierung sind gesamtgesellschaftliche Phänomene, die in allen Ausprägungen wissenschaftlich untersucht werden sollten. Der Institution Polizei kommt dabei allerdings eine besonders große Bedeutung zu, nachdem ihre zentrale Aufgabe als Exekutivorgan darin besteht, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen und den Rechtsstaat zu schützen. Einerseits nehmen Polizeibehörden daher eine zentrale Rolle in der präventiven oder repressiven Bearbeitung von Diskriminierung ein. Anders gesagt: Die Polizei ist eine potenziell wichtige Akteurin im Kampf gegen Rassismus. Insofern wirken sich diskriminierende Strukturen in der Polizeiarbeit auch negativ auf ihre Schutz- und Präventionsfunktion gegenüber Betroffenen aus. Andererseits kann die Polizei aber auch selbst in besonders gravierender Weise als diskriminierende Akteurin auftreten. So besteht bei der Polizei im Unterschied zu anderen (öffentlichen) Institutionen ein besonders enger Zusammenhang zwischen Diskriminierung und Grundrechtseingriffen bis hin zu körperlicher Gewalt. Zudem hat ihr Handeln für die Gesellschaft eine gewisse Signalwirkung.  

Bislang ist die Verbreitung rassistischer und menschenfeindlicher Einstellungen sowie entsprechender diskriminierender Praxen in der Polizei in Deutschland nur in Ansätzen erforscht. Dabei hat sich die empirische Forschung bisher darauf konzentriert, Einstellungen von Polizist:innen zu erheben (z.B. MEGAVO, DeWePol), während Betroffenenperspektiven weithin unberücksichtigt blieben. Darüber hinaus gibt es allgemeine Diskriminierungsumfragen, die zwar die Betroffenenperspektive berücksichtigen, aber meist nicht speziell auf die Polizei fokussieren bzw. diesbezügliche Erkenntnisse nicht weiter vertiefen können (z.B. NaDiRa 2023, Aikins et al. 2021Beigang et al. 2017). Die Studien, in denen Rassismus in der Polizei im Mittelpunkt steht, verfolgen bisher einen vorrangig qualitativen Forschungsansatz (z.B. Howe et al. 2022) oder beschränken sich thematisch auf den Gegenstand des Racial Profiling (z.B. Müller/Wittlif 2023).  

Vor diesem Hintergrund besteht eine Forschungslücke mit Blick auf rassismuskritische, multimethodisch angelegte Studien, die die Betroffenenperspektive auf die Polizei in den Mittelpunkt rücken und sowohl quantitativ belastbare Aussagen über den Umfang und die Struktur rassistischer Diskriminierung durch die Polizei machen können als auch qualitativ tiefgehende Analysen von der Bedeutung für die Betroffenen. Diese Forschungslücke ist erheblich, zumal sich der diskriminierende Charakter sozialer Interaktionen neben einer objektiven Ebene auch bzw. mitunter erst aus der Wahrnehmung der Betroffenen ergibt.  

Belastbares Wissen über Häufigkeit sowie Art und Weise solcher Vorkommnisse und die Sicht der Betroffenen ist von außerordentlicher Relevanz für die Befassung mit der Rolle der Polizei in der Gesellschaft und ihrem Verhältnis zu marginalisierten Gruppen und Communities, für die Fortentwicklung professioneller Polizeiarbeit, für den Umgang mit den Folgen diskriminierenden Verhaltens und für die Entwicklung von Lösungen für damit verbundene Probleme.

Forschungsprogramm

Das Forschungsprojekt RaDiPol soll vor diesem Hintergrund folgende Fragen beantworten:

  • Welche Erfahrungen machen Betroffene mit rassistischer Diskriminierung durch die Polizei und wie äußern sich diese konkret? 

  • Welche Folgen haben diese Diskriminierungserfahrungen für das Verhältnis der Betroffenen zur Polizei und zur Gesellschaft? 

  • Wie geht die Polizei mit Fällen von Rassismus um und welche Maßnahmen werden ergriffen, um rassistischer Diskriminierung entgegenzuwirken?  

  • Welche Unterschiede und Parallelen gibt es in den Wahrnehmungen von Rassismus innerhalb der Polizei zu jenen durch Betroffene und die Bevölkerung allgemein?

Zur Beantwortung dieser Fragen werden quantitative und qualitative Methoden in drei zentralen Arbeitspaketen kombiniert:

Repräsentative quantitative Betroffenenbefragung

Kern des Projekts ist eine repräsentative quantitative Befragung der 16-49-jährigen Bevölkerung ausgewählter Großstädte in Ost- und Westdeutschland. Die Stichprobe ist als städtebasierte Zufallsstichprobe aus Einwohnermelderegistern konzipiert. Die polizeibezogenen Erfahrungen und Einstellungen werden mittels standardisierter Fragebögen erfasst, wobei mehrere Befragungsmodi angeboten werden (primär online, alternativ postalisch). Anvisiert ist eine Nettostichprobe von circa 20 000 Befragten (4 000 pro Stadt). Durchgeführt wird die Umfrage durch das Meinungsforschungsinstitut IFAK.  

Inhaltlich strebt die Befragung Erkenntnisse zu Erfahrungen mit rassistischen, gruppenbezogenen und diskriminierenden Einstellungen und Handlungen durch die Polizei an sowie daraus resultierenden Interaktionssituationen. Erfragt werden sollen – über demografische Merkmale und Diskriminierungsmerkmale hinaus – insbesondere  

  • allgemeine Einstellungen und Sichtweisen zur Polizei 

  • Häufigkeit von Kontakten mit der Polizei, Art und Qualität des letzten Polizeikontaktes 

  • Zeitpunkte und Häufigkeit der eigenen Erfahrungen mit rassistischer Diskriminierung durch die Polizei  

  • Kontext, Intensität, Ablauf und Ausgang des letzten diskriminierenden Vorfalls, Art des diskriminierenden Verhaltens 

  • Folgen und Auswirkungen für die Betroffenen, ihr gesellschaftliches Zugehörigkeitsgefühl sowie Vertrauen in die Polizei (und andere Institutionen), deren Legitimität, wie auch daraus resultierende Kooperationsbereitschaft. 

Qualitative Expert:innen-Interviews

Um die Ergebnisse der repräsentativen Betroffenenbefragung zu erweitern, sollen vertiefend qualitative Interviews mit Expert:innen geführt werden, die in Beratungsstellen, Selbstorganisationen sowie unterstützenden und thematisch fokussierten Organisationen und Initiativen tätig sind (z.B. migrantische und Community-Selbstorganisationen). Hierdurch sollen die Betroffenenperspektiven vertieft und erweitert werden und Problemlagen in den Blick geholt werden, die über die quantitative Umfrage nicht erfassbar sind. Hierzu gehören beispielsweise tiefere Einsichten in die psycho-sozialen, beruflichen oder rechtlichen Konsequenzen, mit denen Betroffene konfrontiert sind, oder die individuellen oder kollektiven Strategien, mit denen Betroffene auf die Diskriminierungserfahrungen reagieren. 

Auf diese Weise soll den Grenzen quantitativer Forschung entgegengewirkt werden. Der Vorteil quantitativer Befragungen liegt in ihrer Aussagekraft über Ausmaß und Verteilungen von Wahrnehmungen und Erlebnissen. Standardisierte Fragebögen ermöglichen dabei eine Vergleichbarkeit und über Repräsentativität auch Verallgemeinerbarkeit. Gleichzeitig begrenzen die kategorialen Vorgaben quantitativer Befragungen auch ihre Aussagekraft, da die Motivationen, Verständnisse und Kontexte der Befragten nicht tiefergehend erfasst werden können. Eine zusätzliche Schwierigkeit bei der Durchführung der quantitativen Betroffenenbefragung besteht darin, dass bestimmte Personengruppen, die besonders vulnerabel und damit auch diskriminierungsgefährdet sind, schwer für eine repräsentative Befragung erreichbar sind. Hierzu gehören z.B. Menschen ohne festen Wohnsitz, Menschen ohne Papiere oder Menschen in staatlicher Obhut (Gefängnisinsass:innen, Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften, Personen in psychiatrischen Einrichtungen etc.). 

Fokusgruppeninterviews mit Polizist:innen zur Berücksichtigung der polizeilichen Perspektive

Zudem soll durch Fokusgruppeninterviews mit Polizist:innen aus den entsprechenden Großstädten bzw. verschiedenen Bundesländern die polizeiliche Perspektive in das Projekt einbezogen werden. Diese moderierten Gruppengespräche sollen empirische Einblicke in Ursachen, Dynamik, Interaktionsmuster und Bearbeitung von (potenziell) einschlägigem Geschehen liefern.  

Die Perspektive der Beamt:innen soll mit der Betroffenenbefragung abgeglichen werden, um das Verhältnis der jeweiligen Wahrnehmungen und ihre Differenzen oder auch Parallelen zu bestimmen. Zudem soll untersucht werden, wie Polizist:innen, aber auch die Polizei als Organisation mit der Thematik umgehen. Insbesondere ist von Interesse, welches Verständnis von Rassismus und Diskriminierung besteht. Die gewählte Forschungsmethode ist dabei besonders geeignet, um den Prozess der kollektiven Situationsdeutung und andere gruppendynamische Prozesse, die in der Polizeiarbeit eine wichtige Rolle spielen, näher zu untersuchen.

Team

Prof. Dr. Tobias Singelnstein Projektleitung E-Mail: singelnstein@jur.uni-frankfurt.de

Mehr über Prof. Dr. Tobias Singelnstein

Tobias Singelnstein ist Professor für Kriminologie und Strafrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Kriminologie (u.a. soziale Kontrolle und Gesellschaft, KI in der Sozialkontrolle, empirische Polizeiforschung, Grundlagen strafrechtlicher Sozialkontrolle) sowie im Strafrecht und Strafprozessrecht (u.a. Ermittlungsmaßnahmen und Beweisrecht, Datenverarbeitung im Strafverfahren, Strafrecht und Digitalisierung), wo er regelmäßig verschiedene Drittmittelprojekte durchführt. Neben mehr als 80 Beiträgen in Fachpublikationen hat er verschiedene Monografien zu Themen aus diesen Bereichen verfasst und eine Reihe von Sammelbänden herausgegeben.  

Prof. Dr. Eva Groß Projektleitung E-Mail: eva.gross@poladium.de

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Prof. Dr. Eva Groß studierte in München Soziologie, in Hamburg internationale Kriminologie und promovierte an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld (2016). Von 2008-2015 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Von 2015-2018 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der kriminologischen Forschungsstelle des LKA Niedersachsen und trat im Dezember 2018 eine Professur für Kriminologie und Soziologie an der Hochschule der Akademie der Polizei in Hamburg an. Ihre Forschungs-schwerpunkte sind Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, vorurteils-motivierte Kriminalität (Hasskriminalität), Viktimisierung/Dunkelfeld, (Online-) Radikalisierung, Polizei, Kriminalitäts-wahrnehmungen, Ökonomisierung des Sozialen, institutionelle Anomie und soziale Ungleichheit. 

Dr. Tanita Jill Pöggel Wissenschaftliche Mitarbeiterin E-Mail: poeggel@em.uni-frankfurt.de

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Jill Pöggel arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Zuvor war sie im „Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor“ (NaDiRa) am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM-Institut) tätig (2021-2024). Dort fokussierte sie das Thema Beratungsstrukturen und leitete das von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) finanzierte Forschungsprojekt „Betroffenenzugang und -bewertung der AD-Beratung“. 2021 schloss sie an der University of Edinburgh eine Promotion über Geflüchteten-Solidarität in der BRD in den 1980er Jahren ab. Sie hat Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und der New School for Social Research (New York City) studiert. 

Amelie Nickel Wissenschaftliche Mitarbeiterin E-Mail: amelie.nickel@poladium.de

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Amelie Nickel arbeitet seit März 2024 als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule der Akademie der Polizei Hamburg. Sie studierte Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der Universität Hamburg. Von 2021-2024 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) und promovierte am Leibniz-WissenschaftsCampus »SOEP-RegioHub« an der Universität Bielefeld. Sie ist seit 2022 Mitglied des Bielefelder Promotionsprogramms der Geschichtswissenschaften und der Fakultät der Soziologie. In ihrer Promotion beschäftigt sie sich mit gesellschaftlichen und institutionellen Ökonomisierungsprozessen und deren politischen wie sozialen Auswirkungen. Neben den Methoden quantitativer Sozialforschung liegen ihre Forschungsinteressen im Bereich Anomie, Vorurteils- und Diskriminierungsforschung und vergleichender politikwissenschaftlicher Forschung. 

Dr. Anabel Taefi Wissenschaftliche Mitarbeiterin E-Mail: anabel.taefi@poladium.de

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Anabel Taefi studierte Diplom-Soziologie in Berlin und Hamburg. Von 2008 bis 2009 war sie als wissenschaftliche Hilfskraft am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. tätig, von 2009 bis 2018 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin in Forschung und Lehre im Fachgebiet „Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention“ an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Seit 2018 arbeitet sie in der Kriminologie an der Hochschule der Polizei Hamburg. Im Jahr 2022 wurde sie an der Universität Hildesheim zur Dr. phil. promoviert, die Dissertation trägt den Titel „Gravierende Delinquenzverläufe – zum Einfluss von Risiko- und Schutzfaktoren auf die Entwicklung der Kriminalität junger und jungerwachsener Menschen“. Aktuell bekleidet sie das Amt der Vertrauensdozentin für die Studierenden. 

Dr. Ilka Kammigan Wissenschaftliche Mitarbeiterin E-Mail: ilka.kammigan@poladium.de

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Ilka Kammigan studierte Internationale Kriminologie an der Universität Hamburg und promovierte dort im Jahr 2017 zum Dr. phil. Von 2009 bis 2017 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in diversen Forschungsprojekten beschäftigt, darunter mehrere internationale und regionale Dunkelfeldstudien zur Jugenddelinquenz (Universität Hamburg, Institut für Kriminalwissenschaften, Abteilung Kriminologie) sowie ein Projekt zu Korruption im Sozialwesen (Fachhochschule Münster, Fachbereich Sozialwesen). Seit 2017 arbeitet sie als Postdoc am Lehrstuhl für Methoden der empirischen Sozialforschung und Statistik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Seit 2021 ist sie außerdem wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule in der Akademie der Polizei Hamburg. 

Hannah Espín Grau Wissenschaftliche Mitarbeiterin E-Mail: espingrau@jur.uni-frankfurt.de

Mehr über Hannah Espín Grau

Hannah Espín Grau studierte Politik- und Rechtswissenschaften in Münster und ist nun als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Strafrecht und Kriminologie der Goethe-Universität Frankfurt tätig. Dort führte sie bis 2023 gemeinsam mit Laila Abdul-Rahman, Tobias Singelnstein und Luise Klaus das DFG-Forschungsprojekt "KviAPol" (Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen durch. Sie promoviert zu polizeilichen und justiziellen Erzählungen über polizeiliche Gewalt und ist Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung.